Freitagsgedanken – Der Islam in Russland
In den letzten Jahren wurde dann die Zuwanderungspolitik zunehmen restriktiver, wobei anzumerken ist, dass fur das „Nahe Ausland“, ehemalige Sowjetrepubliken mit Ausnahme Georgiens, nach wie vor Visafreiheit herrscht.
Geschätzt wird, dass etwa 15-20 Millionen, dies entspricht 12 bis 14 % der russischen Bevölkerung, islamischen Glaubens sind. Weiters gehen Schätzungen von einem Rückgang der russischen Bevölkerung von etwa 142 auf 120 Millionen bis 2030 und damit, migrationsbedingt, einer Verdopplung des Anteils der muslimischen Bevölkerung in Russland aus.
War Migration nach Russland in den fruhen 90er Jahren vorwiegend durch Rückwanderung ethnischer, orthodoxer Russen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken ins russische Mutterland gekennzeichnet, hat sich dieser Trend seit 1995 weitgehend gewandelt.
Bei den heutigen Migranten handelt es sich vorwiegend um Muslime aus Zentralasien und dem Kaukasus. Russland weist ein stabiles Wirtschaftswachstum von etwa 6 % jährlich auf.
Dieses Wachstum fust vor allem im arbeitsintensiven Energiesektor. Die sinkende
Bevölkerungszahl macht eine gewisse Immigration notwendig, um dieses Wachstum langfristig abzusichern.
Forscher gehen dabei von einem Bedarf von einer Million Migranten pro Jahr aus. Allerdings ist die Rolle muslimischer Migranten in Russland umstritten.
Das Reich der Wolga-Bugaren
Nach Untergang des Grosbulgarischen Reiches 668 n.Chr. setze eine Wanderungsbewegung weg von der Küste des Schwarzen Meeres ein. Ein Teil der Bulgaren, zog die Wolga hinauf, unterwarf die ansässigen finno-ugrischen Stamme und gründete am Zusammenfluss von Wolga und Karma die Stadt Bolgar.
Die Stadt brachte es, als Handelszentrum, zu grosem Reichtum. 922 n.Chr. sendete der Abbasiden Kalif al-Muqtadir, ibn Fadlān zum Herrscher der Wolga-Bulgaren um die Bulgaren zum Islam zu bekehren, was diesem auch gelang.
Die Stellung der Wolga-Bulgaren war von strategischer Bedeutung, da sie, bis zum Beginn der Kreuzzuge, mit der Wolga den Haupthandelsweg zwischen Europa und Asien kontrollierten.
Bis ins 12. Jahrhundert hinein, festigten die Bulgaren ihre Stellung erweiterten ihr Gebiet und hatten das mittlere Wolgabecken fest unter ihrer Kontrolle.
1006 wurden diplomatische Beziehungen mit dem Kiewer Rus aufgenommen, wiederholt kam es zu militärischen Expedition der Russen gegen das Reich der Wolga-Bulgaren, die aber, bis auf einige verwustete Grenzposten ergebnislos verliefen.
Angesichts der Mongolengefahr kam es zu einem Bundnis zwischen Russen und Bulgaren doch der Untergang war nicht mehr aufzuhalten. 1236 n.Chr. wurde die Hauptstadt Bolgar von den Mongolen zerstört, ein Grosteil der Bevölkerung umgebracht, wer überlebte wurde zur Heeresfolge verpflichted.
Ein Jahr später wendeten sich die Mongolen gegen den Kiewer Rus und brandschatzten 1240 Kiew.
Die Goldene Horde
Nach der Unterwerfung der Bulgaren entstand unter dem mongolischen Prinzen Batu (1236 – 1255 n.Chr.) das Khanat der Goldenen Horde. Batu errichtete die Hauptstadt an dem Unterlauf der Wolga, das neu gegründete Saray.
Unmittelbare Folge der Eroberung war ein Exodus der bulgarischen Bevölkerung nach Norden und eine Islamisierung und Bulgarisierung der regionalen türkischen Stämme.
Özbek Khan (1282-1341 n.Chr.), ein Nachkomme Batus und neuer Khan, nahm schließlich den Islam an, machte ihn zur Staatsreligion und führte die Scharia ein.
Er schaffte die mongolische Sprache ab und führte das Arabische als Sprache der Politik und Diplomatie, sowie Turki als offizielle Sprache ein.
Saray wurde ein islamische Zentrum mit Moscheen, Bewasserungsanlagen, Karawanserein und Bädern.
Im Westen hatten die Mongolen nahezu ganz Russland unterworfen. Lediglich Novgorod und Pskow im Norden leisteten Widerstand. Während das Reich an der Wolga blühte, bezeichneten die Russen das sogenannte Tatarenjoch
als dunkelsten Teil ihrer Geschichte.
Es sammelten sich Kräfte gegen die mongolischen Herrscher. Die Führungsrolle hierbei spielte, nach internen Machtkampfen, der Fürst von Moskau.
Am 08.September 1380 errang der Großfürst von Moskau Dmitri Donskoi den Sieg auf dem Kulikowo Pole, der Nimbus der unbesiegbaren Mongolen war gebrochen.
Dmitri gilt als Nationalheld Russlands, die Russisch-Orthodoxe Kirche sprach ihn heilig. Die Fürsten von Moskau begannen die sogenannte „Sammlung der Lande“, die Vereinigung der russischen Fürstentümer.
Nach monatelangen Gegenuberstehen eines russischen und mongolischen Heer, das „Stehen an der Ugra“, zogen die Mongolen kampflos ab. Die Goldene Horde zerfiel in der Folge. Es bildete sich eine Reihe von Nachfolgestaaten, als
wichtigster gilt das Khanat von Kasan.
Die Herkunft der Wolga-Tataren
Die Wolga-Tataren sind das groste turksprachige Volk Russlands. Mit Stand 2011 lebten:
- 5,554,601 Volga-Tataren in Russland
- 467,829 in Usbekistan,
- 203,371 in Kasachstan
- 73,304 in der Ukraine
Die Herkunft der Wolga-Tataren bleibt umstritten, die beiden Hauptthesen gehen von mongolischer bzw. türkischer Herkunft aus. So leitete Thomsen das Wort Tataren aus dem chinesischen Ta-Tan ab, einer üblichen Bezeichnung der Chinesen fur die Mongolen.
Der Gelehrte Ibn Fa l ḍ Allāh al-ʿUmarī schrieb im 14. Jahrhundert dazu:
In the old times this state [the Golden Horde] was the country of Kypchaks [Cumans], but when the Tatars [Mongols] conquered them, the Kypchaks became their subjects. Later, they [the Tatars] mixed with them [Kypchaks], and the land had priority over their racial and natural qualities and they [the Tatars] became like Kypchaks, as they were of the same origin with them, because the Tatars settled on their lands, married them, and remained to live on their lands.
Seiner Ansicht nach, handelte es sich, bei den Wolga-Tataren, um eine Gruppe aus der Armee Dschinghis Khans, die zwischen den Turkstammen Westsibiriens und Zentralasiens siedelte und von ihnen sprachlich, kulturell und biologisch assimiliert wurde.
Dem entgegen steht der Gelehrte Muḥammad al-Kāšġarī der schon in einer Zeit vor dem Mongolensturm, in seinem Wörterbuch der Turksprachen Diwan-i Lugat-it-Turk ein Volk westlich des Flusses Ob erwähnt, das Tatarisch spreche.
Reichsbildung und Zerfall
Kulturell und organisatorisch fußte das Khanat von Kasan weitgehend auf dem Reich der Wolga-Bugaren. Das Oberhaupt des Staates war der Khan, unterstützt vom einem Kabinett an Ministern, dem Diwan.
Das kulturelle und theologische Zentrum war Kasan, Bolgar wurde als heilige Stadt wieder aufgebaut. Man trieb Handel mit Zentralasien, dem Kaukasus und
Russland. Über das weitreichende Flusssystem wurde Russland schnell zum wichtigsten Haupthandelspartner.
Sprache war Tatarisch, eine westtürkische Sprache. Nachdem er die Kontrolle über die Goldenen Horde verloren hatte, floh Ulugh Muhammad (?
– 1445 n.Chr.) 1430 n.Chr. nach Kazan und rief sich zum Khan von Kasan aus.
Sein Sohn Mahmud Khan trat nach dessen Tod, 1445 n.Chr., die Nachfolge an, doch war das Khanat, Zeit seiner Existenz, von Machtkämpfen gebeutelt.
Abwechselnd brachten Moskau, das Osmanische Reich und das Khanat der Krim ihre jeweiligen Favoriten an die Macht. Schlieslich fuhrte Iwan IV., der Schreckliche, eine Armee nach Kasan, 1522 n.Chr. eroberte er
die Stadt totete einen grosen Teil der Bevölkerung und begann eine Politik der
Christianisierung und Russifizierung. Diese Politik anderte sich nicht bis zur Herrschaft Katharina der Grosen (1729 – 1796 n.Chr.). Der islamische Staat im heutigen Russland war Geschichte.
Literaturhinweise:
- Fedorov-Davydov, German, Obshchestvennyi stroi Zolotoi Ordy. Moskau 1973.
Frisch, Stephan/Hohm, Franziska/Hengelhaupt, Ulrich, Taschenatlas Europäische Union. Gotha 2007. - Grousset, Rene, The Empire of the Steppes. A History of Central Asia, Rutgers 1970.
- Heinrich, Hans-Georg/Malashenko, Alexey/Lobova, Ludmilla, Will Russia Become a Muslim Society ?, Frankfurt 2010.
- Hunter, Shireen/Thomas, Jeffrey/Melikishivili Alexander, Islam in Russia. The Politics of Identity and Security, Armonk 2004.
- Khalikov, Alfred Khasanovich, Proiskhozhdenie Tatar, Kasan 1978.
- Kovalevskij, Andrej Petrowitsch, Kniga Akhmeda ibn-Fadlana o ego puteshestvii na Volgu v 921-922, Kharkov 1956.
- Martin, Janet, Medieval Russia. 980-1584, Cambridge 1995
- Temir, Ahmet, Kuzey Tiirk ebediyati, in Turk Dunyast El Kitab
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